Wer war Bernhard Gleichmann

Keiner kennt ihn, aber jeder kennt seinen Namen:

Dr. phil. Bernhard Gleichmann

Den vollständigen und ungekürzten Artikel finden Sie zusammen mit vielen Bildern im
Pasinger Archiv, Ausgabe 2006

„Ich geh’ mal schnell nach Pasing rüber!“ Wer dies sagt, meint eigentlich, dass er ins Pasinger Zentrum will. Er sagt dies auch, wenn er sich schon in Pasing befindet, aber halt nicht im Zentrum, sondern vielleicht in den Kolonien oder draußen am Haidelweg. Das Herz des Pasinger Zentrums ist die Gleichmannstraße. Sie ist Hauptverbindung zwischen der Straßenbahn am Marienplatz und dem Bahnhof, Geschäftsstraße, Anlaufpunkt der Omnibusse und auch Wohnstraße. Jeder kennt die Gleichmannstraße, aber kaum jemand weiß, wer der Namensgeber der wohl bekanntesten Pasinger Straße ist.

Vielen ist der frühere Name der Gleichmannstraße noch geläufig: Bahnhofstraße, so hieß die Straße bis zum Jahre 1948. Warum sie damals umbenannt werden musste, wurde nie richtig klar. Mit der Eingemeindung Pasings nach München im Jahre 1938 gab es einige Straßennamen im neuen Burgfrieden München doppelt. Natürlich musste man hier einen neuen Namen finden. Verständlich auch, dass man jene Straßenbezeichnungen beibehielt, welche schon länger zu München gehörten. Und so wurde aus der Arnulfstraße in Pasing die Orthstraße, aus der Luisenstraße die Floßmannstraße oder aus der Amalienstraße die Hillernstraße. (Im Pasinger Archiv, Ausgabe 1991, finden Sie ein ausführliches Verzeichnis mit Beschreibungen). Und aus der Bahnhofstraße wurde die Gleichmannstraße.

Fast jeder Ort, welcher über einen Bahnhof verfügt, besitzt auch eine Bahnhofstraße. So war das auch in Pasing. Als im Jahre 1892 die Straßen im Dorf Pasing erstmalig mit Namen versehen wurden (bis dahin gab es nur Hausnummern), erhielt auch die Bahnhofstraße ihren Namen. Über 56 Jahre erlebte die Straße den Aufstieg vom Dorf zur Stadt und zum Stadtteil. Großstädtische Wohn- und Geschäftshäuser wurden errichtet, die Fuhrwerke wurden von Kraftautomobilen verdrängt, und die Straße wurde schließlich zur ersten Geschäftsadresse in Pasing.

Als die Stadtverwaltung die Änderung der Straßennamen anordnete, um Verwechslungen mit gleichnamigen Straßen zu vermeiden, hat man nicht erkannt, dass bei dieser Umbenennung das Argument nicht stichhaltig war. Es gab nämlich in ganz München keine weitere Bahnhofstraße. Es existierte lediglich ein Bahnweg in Allach und eine Bahnstraße in Waldtrudering. Und selbst bei einer bereits vorhandenen Bezeichnung hätte man noch auf „Pasinger Bahnhofstraße“ ausweichen können, so wie man es beim „Pasinger Marienplatz“ oder beim „Pasinger Bahnhofsplatz“ tat. Vielleicht wollte man schon damals in die Rechte der Pasinger eingreifen. Vielleicht dachte man aber auch, eine so wichtige Straße müsse nach einer bekannten Persönlichkeit benannt werden, ohne freilich zu beachten, wie wichtig der Bahnhof für Pasing von Anbeginn an war. Man hätte aber auch entgegensetzen können, dass ein Bahnhof zeitlos ist, während selbst verdiente Persönlichkeiten in Vergessenheit geraten. Man denke nur an die Karl-Beck-Straße, benannt nach dem Pasinger Schlossherrn und dem Gründer der Pasinger Papierfabrik, der obendrein 1840 zum Bau des Pasinger Bahnhofes 10.000 Gulden stiftete. Die nach ihm benannte Straße wurde umbenannt in Bodenstedtstraße mit der Begründung, es gäbe irgendwo in einem Außenbezirk bereits eine gleichlautende Straße, benannt nach einem Gemeindebürgermeister. Allerdings war diese Straße nicht mit Hausnummern versehen und noch unbebaut. Es erübrigt sich die Frage, welche Straße ihren Namen mit mehr Recht behalten hätte.

Viele, viele Jahre nach der Umbenennung sprachen die Pasinger noch von der Bahnhofstraße und manche verwenden diesen Namen noch heute. Der „Würmtalbote“ schreibt am 22. Juni 1954: „Es erheben sich Stimmen, die meinen, man solle sich – bei aller Liebe zur Heimat – doch endlich damit abfinden, dass die Bahnhofstraße auf einen unglücklichen Vorschlag hin in Gleichmannstraße umbenannt wurde und auch an dieser Bezeichnung festhalten.“

Dr. phil. Bernhard Gleichmann, 1898

Gleichmann war zweifellos ein verdienter Mann und als Namensgeber für eine bedeutende Straße würdig. Als sein Name 1948 für die Bahnhofstraße ausgesucht wurde, war dies sicherlich eine Verlegenheitslösung. Gleichmann wohnte nie in Pasing, hatte keine Verbindung zum Ort und auch sonst nichts mit Pasing zu tun – fast nichts. Dr. phil. Bernhard Gleichmann hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass die durch Pasing führenden Bahnlinien elektrifiziert werden konnten.

Bernhard Gleichmann wurde am 18. April 1869 als Sohn eines Glashüttenbesitzers in Suhl im Thüringerwald geboren. 1890 schloss er das humanistische Gymnasium in Meinigen ab. Der junge Bernhard studierte an der Hochschule Hannover Maschinentechnik und Elektrotechnik und promovierte 1894 in Physik. Er sah seine berufliche Zukunft in der Elektroindustrie und erhielt einen Anstellungsvertrag in Nürnberg bei der Elektrizitäts-KG, der ehemaligen Firma Schuckert & Co.

Schon bald hörte Bernhard, dass die königlich-bayerischen Staatsbahnen einen Elektrotechniker suchten, um elektrische Beleuchtungsanlagen in größeren Bahnhöfen zu projektieren. Die Aufgabe war eine Herausforderung und versprach Abwechslung. Er bekam die Anstellung und zog am 1. Januar 1895 um nach München. Waren es anfänglich nur Beleuchtungen (die elektrische Beleuchtung stand gerade am Anfang und konkurrierte mit dem Gaslicht), so mussten vor allem auch Elektrizitätswerke zur Versorgung der Bahneinrichtungen erstellt werden. Gab es bisher nur kleinere Elektrizitätswerke, die mit Dampfkraft betrieben wurden, so entwickelte sich zur Jahrhundertwende die Erzeugung von Dreh- und Wechselstrom immer mehr, so dass E-Werke auch in größerer Entfernung gebaut werden konnten. So ging in München im Winter 1900 als erste Anlage dieser Art ein 6 Kilometer langes, unterirdisches 5000-Volt-Drehstromnetz in Betrieb.

Bernhard Gleichmann entwickelte und leitete die unterschiedlichsten Projekte im Bereich der Bahnstromversorgung in ganz Bayern. Zu seinem Gebiet gehörte auch die Elektrifizierung der Münchner Straßenbahn, da die Pferdebahnverträge ausgelaufen waren. Es folgten die Elektrifizierung der Mittenwaldbahn, der Bahnlinie Freilassing – Salzburg und Freilassing – Berchtesgaden.

Gleichmann wirkte auch als Dozent für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in München. Zusätzlich zu seiner eigentlichen Tätigkeit begann er mit seinen Vorlesungen im Wintersemester 1899/1900. Seine Kollegs musste er an Wochenenden oder nachts ausarbeiten.

Bernhard Gleichmann erhielt eine Berufung ans Verkehrsministerium und wurde Referent für Starkstromtechnik für den gesamten Betrieb der Staatsbahnen. Die neue Herausforderung brachte es mit sich, dass er im Sommer 1907 seine Dozententätigkeit abgab. Am 1. April 1920 erhielt Gleichmann durch die Zusammenfassung der Ländereisenbahnen in die Deutsche Reichsbahn einen neuen Tätigkeitsbereich. Hierzu wurde er im Januar 1921 an das Reichsverkehrsministerium nach Berlin versetzt, wo ihm landesweite Aufgaben übertragen wurden. Es folgten internationale Kongresse und Verhandlungen innerhalb fast aller europäischen Länder. Am 24. Januar 1924 wurde das Walchenseekraftwerk in Betrieb genommen. Oskar von Miller hatte sich gegen viele Bedenkenträger durchgesetzt. Auch an diesem Projekt war Bernhard Gleichmann beteiligt.

Bernhard Gleichmann beendete seine berufliche Laufbahn Anfang der 30er Jahre. Es verschlug ihn wieder zurück in sein geliebtes München, wo er anfänglich in der Schwabinger Türkenstraße und dann in der Friedrichstraße wohnte. Der fleißige und familienbezogene Elektroingenieur hatte zwei Kinder, Tochter Elfriede (geb. 1.3.1897) und Sohn Werner (geb. 25.2.1898, gefallen 1917). Dr. phil. Bernhard Gleichmann verstarb 1938 nach langer Krankheit in seiner Münchner Wohnung und wurde im Waldfriedhof München zur letzten Ruhe gebettet.

Wir sind wieder am Ausgangspunkt unserer Geschichte. Pasing kam im Lebenswerk Gleichmanns nicht vor. Dennoch ist Gleichmann für den Pasinger Bahnbetrieb bis zum heutigen Tag von Bedeutung, ohne dass sich der Bahnreisende dessen bewusst wird. Wie eingangs erzählt, war Gleichmann an der Elektrifizierung der durch Pasing führenden Eisenbahnlinien beteiligt. Aber er hatte auch noch andere Verdienste. Von besonderer Wichtigkeit auf dem Wege der Elektrifizierung der Eisenbahnen war die Festlegung eines einheitlichen Bahnstromsystems. So beschlossen die Preußisch-Hessischen, die Badischen und Bayerischen Staatsbahnen, dass ihre Vollbahnen ausschließlich mit Einphasenwechselstrom 15 kV 16 2/3 Hz betrieben werden. Dieses Abkommen trat am 28. Januar 1913 in Kraft und war für den weiteren Aufbau der deutschen und europäischen Bahnen von großem Nutzen. Das „Übereinkommen betreffend die Ausführung elektrischer Zugförderung“ wurde auf Anregung eines Mannes in der Bayerischen Staatsbahnverwaltung getroffen: Dr. phil. Bernhard Gleichmann, des Namensgebers der Gleichmannstraße im Herzen von Pasing.



Gleichmannstraße als Fußgängerzone? So könnte sie aussehen, wie hier beim Badischen Abend im Juni 1998. Mit Eröffnung der Strassenbahnlinie durch die Gleichmannstrasse wurde die Strasse zumindest stark verkehrsberuhigt.

Den vollständigen und ungekürzten Artikel finden Sie zusammen mit vielen Bildern im
Pasinger Archiv, Ausgabe 2006


Pasinger Archiv e.V.
Feichthofstrasse 27
81247 München
Mail: pasinger.archiv@t-online.de